Es hat ziemlich lange gedauert, bis ich das erste Mal den Namen des Mannes hörte, den ich euch heute vorstellen möchte. Wahrscheinlich liegt das daran, dass Sebastian Brück wohl vielen Menschen nicht unter seinem Namen, sondern als Blogger unter dem Titel Düssel-Flaneur bekannt ist. Seine Facebook-Seite zum Blog hat inzwischen mehr als 18.000 Follower. Eine davon bin ich 😊

Sebastian, du betreibst einen Blog (https://duessel-flaneur.de/) auf dem du stadtspezifische Themen, Beobachtungen, Fotos und Gedanken zu Düsseldorf und der Umgebung veröffentlichst. Gleich zu Anfang muss ich etwas gestehen: Ich war selten auf diesem Blog, denn ich folge dir auf Facebook, wo du unermüdlich Fotos der Stadt Düsseldorf veröffentlichst. Ein Best of deiner Bilder kann man auch erwerben (https://www.duesseldorf-poster.de/?l=de). Auf vielen deiner Bilder sieht man Balkone oder Vorhänge, hinter denen sich die Wohnungen der Menschen verbergen, die dort leben. Machst du dir bei deinen Streifzügen durch die Stadt manchmal Gedanken über das Leben hinter den Mauern, die du fotografierst?

Ehrlich gesagt mache ich mir darüber nicht groß Gedanken. Mir geht es bei Fotos von Gebäuden nur um die „Oberfläche“, und das alles passiert meist sehr spontan und intuitiv: Wie wirkt die Fassade? Ergibt sich womöglich aus einem bestimmten Blickwinkel eine Symmetrie oder eine Spiegelung oder ein Kontrast, auch in Verbindung mit den Nachbarhäusern oder gar mit farblich passenden Autos, die zufällig vor dem Haus stehen? So was interessiert mich. Da ich mit dem Smartphone fotografiere, dauert es meistens nur wenige Augenblicke bis ein Bild gemacht ist, oft im Vorbeigehen. Ich achte aber darauf, dass keiner am Fenster oder auf dem Balkon steht, um nicht in die Privatsphäre der Leute einzudringen.

Deine Postings auf Facebook haben Hashtags mit der Straße und dem Stadtteil des aufgenommenen Bildes. Immer wieder gibt es dazu Kommentare von Menschen, die von ihrer Verbundenheit mit den fotografierten Häusern und Straßen erzählen. Was denkst du ist der Auslöser, der die Menschen dazu bringt?

Auf Facebook spielen Hashtags ja keine so große Rolle. Sie tauchen in meinen Facebook-Postings auf, weil ich meine Fotos zunächst auf Instagram veröffentliche, wo Hashtags sehr wichtig sind, und dann wird jedes Posting automatisch auch auf Facebook gespiegelt. Ich bin manchmal überrascht, was für Erinnerungsstürme ein Bild auslösen kann – übrigens sehr viel stärker auf Facebook, wo die Follower im Schnitt zehn bis fünfzehn Jahre älter sind als auf Instagram. Für mich persönlich sind die Bilder, die ich veröffentliche, eher so eine Art Fototagebuch, durch das ich später mal nachvollziehen kann wo ich überall gewesen bin. Es scheint viele Menschen unter meinen Followern zu geben, die früher mal in Düsseldorf gewohnt haben, und jetzt in anderen Städten oder gar Ländern leben und meine Facebook-Seite als eine Art Verbindung zur alten Heimat nutzen. Oder es sind Düsseldorfer, die sich freuen, ihre „alte“ Straße oder ihr „altes“ Viertel wiederzusehen …

Wie hat diese Art der Streetfotografie überhaupt bei dir angefangen?

Dazu muss ich als Vorgeschichte kurz erzählen, wie der Blog Düssel-Flaneur entstanden ist: Los ging es 2014, spontan und monothematisch, als Spielwiese, um neben Brot-Jobs als freier Autor und Journalist ungezwungen und auf semi-literarische Art und Weise über einen Ich-Erzähler und seinen besten Freund zu schreiben, die der Düssel von der Mündung in den Rhein bis zur Quelle im Bergischen Land folgen. Das Ganze in kurzen Etappen, sehr langsam und garniert mit Smartphone-Fotos des Flüsschens und der Gebäude und Straßen am Ufer. 2021 war die Quelle dann endlich erreicht (hier alle Etappen im Überblick: https://duessel-flaneur.de/entlang-der-duessel/). Bereits vorher hat sich das Blog thematisch geöffnet, also auch mal über den Düssel-Rand hinausgeschaut. Es kam dann, als die Follower-Zahl stieg, ab 2018 als Ableger eine ganzseitige monatliche Kolumne in der Westdeutschen Zeitung hinzu, die inzwischen auf das Portal VierNull umgezogen ist und in der ich den Ton und die Erzählperspektive des Blogs aufgreife (hier alle Kolumnen im Überblick: https://duessel-flaneur.de/zeitungskolumne/), oft mit popkulturellem Hintergrund.  Anfangs waren meine Düssel-Fotos eher schlecht, auch in Bezug auf die Bildauflösung. So wie sich die Smartphones technisch verbessert haben, habe ich im Laufe der Jahre mein Auge für Perspektiven und Ausschnitte geschärft. In der Endphase der Etappen entlang des Düssel-Ufers wurden die Fotos, die den Text begleiteten, immer mehr – bis zu fünfzig pro Folge.

Für solche „langsamen“ und zugleich sehr langen Texte war (und ist) das Format „Blog“ ideal. Nach Erreichen der Quelle hat sich das Geschehen mehr und mehr auf Facebook und Instagram verlagert. Ein „Gamechanger“ war für mich, als ich begonnen haben mit dem Huawei P20 zu fotografieren. Das bot technische Möglichkeiten, die ich bisher von Smartphone-Kameras nicht kannte. Hintergrund-Unschärfen, gute Bildqualität – auch abends und nachts. In der Folge hat sich meine Foto-Leidenschaft erst so richtig entwickelt, wobei ich mich auf meinem Insta-Profil in der Bio bewusst als „KeinFotograf“ bezeichne. Ich sehe mich in erster Linie als Autor, will nicht Leuten konkurrieren, die „richtige“ Fotografen sind. Vielleicht bin ich eher eine Art Chronist, der die Stadt mit all ihren Facetten zeigt. Ich „bewerte“ nicht mit meinen Bildern. Wenn ich zum Beispiel ein Foto poste, auf dem eine Baustelle zu sehen ist, dann möchte ich damit keineswegs aussagen: Schau mal hier, die blöde Baustelle! Ich arbeite aus einer neutralen Perspektive heraus, habe überhaupt keine Agenda, außer zu dokumentieren, wie Düsseldorf ist. Momentan fotografiere ich mit dem Google Pixel 7, und da ich verstärkt mit Zoom arbeite, um überraschende Perspektiven festzuhalten, wird 2025 mein nächstes Smartphone vermutlich ein Pro-Version mit besonders guten Zoom-Fähigkeiten sein. Die Bandbreite geht vom klassischen Stadtpanorama mit Sonnenuntergang bis hin zum Hinterhof, wo der Rheinturm über den Dächern oder zwischen den Bäumen durchscheint.

Du veröffentlichst auch Archivbilder. Woher beziehst du sie?

Ich bin Fan des 2006 verstorbenen Fotografen Hans Lachmann, der hauptsächlich im Auftrag der evangelischen Kirche unterwegs war, parallel aber auch viele Alltagszenen aus Düsseldorf und Umgebung ohne religiösen Kontext festgehalten hat – von 50-Jahre-Flaneuren auf der Königsallee bis zu 80er-Jahre-Punks in der Altstadt. Er war quasi ein Street-Fotograf, als der Begriff Streetfotografie noch gar nicht existierte. Ich kann allen historisch Interessierten das frei zugängliche Lachmann-Archiv bzw. das Archiv der evangelischen Kirche im Rheinland nur empfehlen (siehe: https://ausstellungen.deutsche-digitale-bibliothek.de/hans-lachmann). Von Lachmann habe ich viele Fotos gepostet, weil ich der Meinung war, dass er noch viel mehr Würdigung verdient hat. Tipp: Man sollte im Lachmann-Archiv konkrete Stichworte in die Suchmaske eingeben, etwa den Namen eines Viertels oder einer bekannten Straße – sonst fühlt man sich in der Masse der Fotos schnell verloren. Manchmal habe ich auf Facebook auch unter Creativ-Commons-Lizenz stehende Düsseldorf-Bilder von Wikimedia oder anderen Archiven veröffentlicht. Ich habe das aber inzwischen auf ein Minimum heruntergefahren, mache nur ab und zu ein Re-Posting. „Neue“ historische Fotos veröffentlich ich nur noch, wenn sie inhaltlich in Verbindung mit meinen Kolumnen stehen.

Die Nostalgie und ihre Verwendung gerät immer mehr in die Kritik, da sie von rechten Gruppen eingesetzt wird. Ist das auf deinem Facebook-Profil zu spüren? Sind die Menschen nostalgischer geworden oder hat sich etwas bezüglich des Umgangs, des Tonfalls oder der Kommentare geändert?

Mein Ansatz ist nicht „Früher war alles besser“, sondern „Schön, dass ich dabei war.“ Demnach finde ich Nostalgie vollkommen okay, solange sie nicht verklärt oder idealisiert. Ich erlebe sie auf Facebook häufiger als auf Instagram, weil das Publikum im Schnitt älter ist. Extreme Kommentare sind die absolute Ausnahme, und manchmal blocke ich auch Leute, die destruktiv sind oder andere beleidigen. Trolle und Motzkis werden meistens auf meine Seite gespült, wenn ein Posting viral geht. Die auf beiden Plattformen meistvermissten Düsseldorfer Erinnerungsorte sind meiner Erfahrung nach neben Clubs und Kneipen der „Jugend“ sicherlich das Buchhaus Stern-Verlag, das Spielwarengeschäft Lütgenau, die Mata-Hari-Passage und der Beachclub Monkey´s Island. Da sitzen die Leute sofort im „Erinnerungskarussell“.

Wenn ich mir deinen Output anschaue, könne ich glauben, du streifst den ganzen Tag durch die Stadt. Wie oft und lange bist du denn ungefähr unterwegs und gehst du absichtlich los, oder nutzt du deinen Arbeitsweg?

Bei mir läuft das im Prinzip so: Ich gehe irgendwo einmal um den Block und habe sofort zehn neue Fotos gemacht. 90 Prozent der Fotos entstehen nebenbei in meinem Alltag, also dort, wo ich mich ohnehin aufhalte – bei Erledigungen oder Terminen. Weil ich im Düsseldorfer Süden wohne, sind die südlichen Viertel dabei stärker vertreten als die im Norden. Wenn ich beispielsweise meine Tochter zum Sport fahre und eine oder anderthalb Stunden füllen muss, dann setze ich mich entweder mit dem Laptop zum Arbeiten ins Café, oder ich spaziere mit dem Hund durch die nahegelegenen Viertel. Das ist eine schöne Möglichkeit, die eigene Stadt neu zu entdecken. Straßen, wo ich ewig nicht mehr war, zum Teil noch nie. Der Aufwand ist also weitaus geringer, als manche denken. Eine Stunde Spaziergang, und ich habe Content für eine Woche. Das könnte jeder andere auch machen, der sein Smartphone dabeihat.

Hast du bei deinen Streifzügen einmal etwas beobachtet, dass dich in irgendeiner Form berührt hat? Positiv oder negativ? Etwas, über das du dir Gedanken gemacht hast oder es „mit nach Hause“ genommen hast, weil es dich beschäftigte?

Da ich nicht nur journalistisch, sondern auch literarisch schreibe, habe ich quasi permanent eine Perspektive, die den Alltag auf literarische Verwertbarkeit scannt. Ich mache das nicht bewusst, das passiert automatisch – nicht nur bei den Foto-Streifzügen. Ich kann dir jetzt keine konkreten Erlebnisse oder Beobachtungen schildern, das wäre mir zu privat. Im Endeffekt ergibt sich bei mir die Idee für eine Erzählung oder für einen Roman aus vielen kleinen Eindrücken und Schnipseln, die sich verdichten und möglicherweise erst viel später in einen Text einfließen.

 

Sebastians Facebook-Seite als Düssel-Flaneur findet ihr unter https://www.facebook.com/duesselflaneur

Seine Bilder gibt es hier zu erwerben: https://www.duesseldorf-poster.de/?l=de

Seinen Blog findet ihr hier: https://duessel-flaneur.de/