Die Entscheidungen des Lebens
Auf einer namenlosen Insel leben nur noch einige übriggebliebene Menschen, alle anderen sind fortgegangen. Die Hotels sind verlassene Geisterbauten, die Häuser verschlossen, die Straßen menschenleer. Schon lange sind keine Fähren und somit auch keine Touristen mehr gekommen, warum, weiß niemand. Die verbliebenen Inselbewohner arrangieren sich mit dem, was die Natur und ihre eigenen begrenzten Möglichkeiten hergeben: Fisch, Obst und selbstgebrannter Alkohol. Doch obwohl das Leben auf der Insel von gegenseitiger Hilfe abhängt, bleiben die Menschen emotional voneinander isoliert. Jeder lebt in seiner eigenen Welt, bis Ada auftaucht – die einzige Figur, die im Roman einen Namen trägt.
Woher sie kommt und warum sie einfach so wieder verschwindet wird genau so wenig erklärt wie das Ausbleiben der Fähren. Aber sie bringt Bewegung in das verschlossene Leben des Hausmeisters. Adas mysteriöse Erscheinung löst bei ihm eine Kette von Veränderungen aus. Er beginnt, die Insel zu durchstreifen, nach Ada zu fragen und dabei Kontakt zu den anderen Bewohnern aufzunehmen – ein Schritt, den er seit Jahren hätte gehen können, doch nie wagte. Diese neue Offenheit schafft Platz, einem Raum, in den die Bäckerin eintritt. Zugleich schließt sich damit eine Tür für die Frau des Generals, die seit Kindheitstagen eine unerfüllte Verbindung zum Hausmeister verspürt, die nie Erfüllung gefunden hat, stattdessen immer nur die Ahnung einer Liebe geblieben war.
Zwischen Erinnerung, Verlorenem und Neuanfang erzählt „Nach den Fähren“ von den Entscheidungen, die das Leben prägen, aber auch von denen, die nicht getroffen wurden.
Ein Roman über uns alle
Mengelers Roman ist eine stille Reflexion über die Dinge, die wir nicht getan haben, die wir nicht fertig gestellt, nicht entschieden, nicht gewollt haben. Dinge, die wir verloren haben. Es ist ein Roman über Träume, die wir irgendwann vergessen haben oder deren Nichterfüllung uns bis heute schwer auf der Seele liegt. Ein Buch über Lücken, Hohlräume, das Vergehen der Zeit, das man erst im Nachhinein bemerkt, und nicht genutzten Raum, der erst mit dem Auftreten Adas Aufmerksamkeit bekommt und endlich durch Zwischenmenschlichkeit gefüllt wird.
Inhaltlich ist „Nach den Fähren“ eine atmosphärisch dichte Geschichte, die dramaturgisch gut aufgebaut und durchdacht ist. Sprachlich fand ich den Roman anfänglich ansprechend, ein Eindruck, der jedoch an Wirkung verlor, da die Figuren trotz ihres potenziellen Tiefgangs emotional auf Distanz bleiben. Es fiel mir schwer, eine Verbindung zu ihnen aufzubauen. Nichtsdestotrotz hat mich das Buch zum Nachdenken gebracht, weil ich mit meinem eigenen Leben zwischen den Zeilen Platz gefunden habe.
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