Karen öffnete die Augen. Sie sah aus dem Fenster der Straßenbahn hinaus auf die mondbeschienene Landschaft. Fahles Licht fiel auf karge Büsche. War sie so müde gewesen, dass sie auf dem Weg nach Hause eingeschlafen war? Wäre das, was hinter den Fenstern der Straßenbahn an ihr vorbei huschte, ein Gemälde, es könnte „Ödnis im Mondschein“ heißen. Häuser gab es keine, auch keine Zäune und keine Autos. Warum war es schon so dunkel? Wie spät war es? Dann ein kalter Gedanke: Warum saß sie in einer Straßenbahn, die mitten in der Nacht durch das Nichts fuhr? Sie richtete sich ein wenig in ihrem Sitz auf und sah sich um. Sie befand sich in einer alten Bahn. Ein paar weitere Menschen saßen hier in sich versunken, schienen zu schlafen. Sie beugte sich von ihrem Sitz aus in den Mittelgang und sah nach vorne. Dort war eine Tür mit einem kleinen Fenster. Das musste die Fahrerkabine sein. Karen stand auf, hielt sich an den Haltestangen fest und lief ein paar Sitzreihen nach vorne. War sie denn in eine falsche Bahn eingestiegen, eine, die aus der Stadt herausfuhr? Sie nahm ganz selten die Straßenbahn. Fuhren die überhaupt so weit hinaus auf das Land?

Sam? Im fahlen Licht, das durch die Fenster in die Bahn fiel, hatte sie ihren Mann entdeckt. Er saß schlafend an das Fenster gelehnt.

„Sam!“, flüsterte sie und schüttelte ihn an der Schulter.

Sam erwachte und erkannte sie.

„Was ist?“ Er richtete sich etwas auf, sah ihr ins Gesicht und nahm dann verwirrt die Umgebung wahr. „Wo sind wir?“

„Ich weiß es nicht“, flüsterte Karen und setzte sich schnell neben Sam. Sie sahen aus dem Fenster, aber außer einer weiten Ebene, auf der hin und wieder ein trockener Strauch stand, konnten sie nichts erkennen. Sam sah Karen an.

„Ist mit dir alles in Ordnung?“

„Ja. Ich bin drei Reihen hinter dir aufgewacht. Ich …“ Karen stockte. Zwei Reihen vor ihnen regte sich jemand. Als Sam etwas sagen wollte, hielt sie ihm die Hand vor den Mund. Nichts sonst regte sich in der Bahn. Nach etwa einer Minute richtete Sam sich leise auf und blickte zuerst nach vorne, von wo aus das Geräusch gekommen war, und dann in den hinteren Teil des Abteils.

„Wie sind wir hierhergekommen?“, flüsterte er. „Und wo sind wir?“

Karen zog die Schultern hoch und schüttelte den Kopf. Sie erinnerte sich an ihr Büro, ihren Schreibtisch, daran, dass sie in die Mittagspause gegangen und an einem Reisebüro stehen geblieben war. Sie hatte auf ein Bild gesehen. Sie glaubte, sich an ein Gefühl der Sehnsucht erinnern zu können. Aber was war danach geschehen?

„Woran erinnerst du dich?“, fragte sie Sam.

Er blickte aus dem Fenster.

„Ich war bei der Arbeit“, antwortete er dann. „Haben wir nicht miteinander telefoniert?“

„Doch, haben wir. Wir haben … es ging um ein Treffen, oder? Hatten wir nicht eine Verabredung?“

Sam dachte nach und Karen sah den Schatten in seinem Gesicht.

„Was ist? Was hast …“

„Hallo?“, sagte eine Stimme.

Sam und Karen duckten sich in ihren Sitzen.

„Hallo? Wo sind wir?“

Zwei Reihen vor ihnen war eine füllige Frau aufgestanden und bewegte sich auf Karen und Sam zu.

„Entschuldigen Sie bitte, wo bin ich hier?“

Die Frau sah sie verwirrt an.

„Das wissen wir nicht“, sagte Karen. „Wir sind hier aufgewacht.“

Die Frau starrte sie einige Momente lang an, dann setzte sie sich auf den Sitz auf der anderen Seite eine Reihe vor den beiden und sah aus dem Fenster.

„Wo zum Teufel sind wir?“, fragte sie leise, dann blickte sie nach hinten. „Und wer sind die?“

Karen drehte sich ebenfalls um. Dann sah sie wieder zu der Frau und schüttelte den Kopf.

„Woran können Sie sich erinnern?“, fragte Sam. „Wissen Sie, wie Sie hierhergekommen sind?“

„Ja“, antwortete die Frau. „Ich war im Altersheim. Ich habe meinen Schwiegervater besucht und dann habe ich mit Mojo Alexander telefoniert. Das ist mein Sohn. Danach stieg ich in die Straßenbahn, aber die sollte nicht aus der Stadt fahren. Ich bin wohl falsch eingestiegen und dann eingeschlafen. Ich schlafe sonst nie in der Straßenbahn ein.“

„Wie seltsam. Karen und ich fahren ganz selten mit der Straßenbahn, und wir sind auch eben hier aufgewacht.“

Hinten im Abteil regte sich ein Mann. Verschlafen sah er aus dem Fenster, dann richtete er sich ruckartig auf.

„Was ist los?“, frage er. „Hey, verdammt nochmal, wo bin ich hier?“ Er stand auf und entdeckte die anderen Fahrgäste. Er schüttelte eine blonde Frau, die zwei Reihen vor seinem eigenen Sitz saß, an der Schulter. „Hey Sie, wachen Sie auf! Wo sind wir? Was soll der Scheiß.“

Die blonde Frau erwachte, richtete sich auf, sah sich um und sank dann sich zusammen. Sam, Karen und die füllige Frau sahen zu dem Mann.

„Hey ihr da!“, rief er zu ihnen nach vorne und lief auf sie zu, „wo sind wir? Wieso fahre ich Straßenbahn? Was soll der Scheiß!“

Sam stand auf und stupste Karen an, damit sie ihn vorbei ließ.

„Das wissen wir nicht. Wir können uns nicht erinnern, wie wir hierhergekommen sind. Ich bin Sam.“

Der junge Mann sah Sam an, nicht feindselig, aber auch nicht freundlich. Dann tastete er die Taschen seiner Jeans, seiner Jeansjacke und die Brusttaschen seines Hemdes ab. Er holte seinen Geldbeutel hervor und kontrollierte den Inhalt.

„Alles noch da“, sagte er.

„Ich bin Sam“, stellte Sam sich nochmals vor.

„Und wer sind die da?“, fragte der Mann und zeigte auf die beiden Frauen, die inzwischen auch den Inhalt ihrer Taschen kontrollierten.

„Die eine ist meine Frau Karen und die andere ist …“

„Makena“, stellte sich die füllige Frau vor. „Und wer sind Sie?“

Der Mann zögerte. „Steven“, sagte er dann. „Wohin fährt diese verdammte Bahn? Wie komme ich hierher?“

„Wir wissen nicht, wo wir sind.“ Karen blickte auf ihr Handy. „Hast du Empfang, Sam?“

Entschlossen lief Steven nach vorne und klopfte an die Tür der Fahrerkabine. „Hallo?“ Er schlug mit der Faust an die Tür. „Hey, aufmachen!“

Er hob die Hände, um seine Augen gegen das dämmrige Licht im Abteil abzuschirmen und sah durch das kleine Fenster in die Fahrerkabine. Er blickte lange hinein. Dann drehte er sich langsam um. „Da ist keiner.“

„So ein Blödsinn!“ Sam lief nach vorne und blickte ebenfalls durch das Fenster. Dann klopfte er gegen die Tür, aber gleich darauf donnerte Steven dagegen und schrie: „Hey, aufmachen!“

Von hinten war ein Schluchzen zu vernehmen. Steven und Sam hörten auf, an die Türe zu hämmern. Alle drehten sich um. Die blonde Frau stand im Gang. Sie sah aus wie aus einem anderen Jahrzehnt. Jede einzelne Welle ihrer Haare saß perfekt wie bei einem Filmstar. Sie trug ein schönes Kleid und ihr Gesicht war sorgfältig geschminkt. Hinter ihr stand eine weiterer Fahrgast auf. Ein kräftiger Typ, sympathisch, braungebrannt, mit einem Gesicht, in dem sich raues Wetter jahrelang ausgetobt zu haben schien. Er trug Arbeitsschuhe, eine Strickmütze, und auf seinem Pullover stand der Name einer Fischerei.

Die Frau weinte, und als sie den Fischer hinter sich entdeckte, erschrak sie.

„Beruhigen Sie sich“, sagte der Mann leise zu ihr. Dann wandte er sich mit ruhiger Stimme an die anderen: „Was ist hier los?“

„Was hier los ist?“ Steven kam von vorne zurück. „Wir fahren alle in einer verdammten Straßenbahn durchs Nirgendwo! Keiner von uns weiß, wie er hierhergekommen ist, und niemand fährt dieses Ding. Das ist hier los!“

„Was soll das heißen, niemand fährt diesen Zug?“

„Das heißt“, sagte Steven, „dass in der Fahrerkabine niemand sitzt.“

Der Fischer lief mit ruhigen, sicheren Schritten durch den Gang nach vorne. Er sah durch das Fenster, holte eine Taschenlampe aus seiner Arbeitshose und leuchtete hinein.

„Das kann nicht sein“, sagte er. Er lief den Gang zurück bis zur hinteren Tür und sah durch das kleine Fenster hinaus.

„Nichts“, sagte er.

„Können Sie sich denn erinnern, wie Sie hierhergekommen sind?“, fragte Sam den Fischer.

Der dachte nach.

„Nein. Ich war mit dem Schiff draußen, dann kam ich zurück, habe den Fang in der Halle sortiert und bin zu meinem Spind gegangen. Da habe ich … da habe ich … ich weiß nicht mehr … ich habe, glaube ich, etwas gelesen … aber was?“  Er sah die weinende Frau an, die sich inzwischen gesetzt hatte. „Und Sie?“

„Ich?“, fragte sie erschrocken. „Ich war bei einem Vorsprechen. Ich bin Schauspielerin. Anschließend bin ich zur U-Bahn gegangen und habe am Gleis gewartet. Danach kann ich mich an nichts erinnern.“ Sie kramte in ihrer Tasche herum. „Hätten Sie vielleicht ein Taschentuch?“

Der Fischer zog den Reisverschluss der Seitentasche seiner Hose auf und holte ein Taschentuch hervor.

„Hier“, sagte er. „Wie heißen Sie?“

„Miriam“, antwortete die Schauspielerin.

„Ich bin Finn“, sagte der Fischer. Er zog sein Handy aus der Tasche. „Kein Empfang“, stellte er fest.

„Ich auch nicht“, sagte Karen.

Makena schüttelte den Kopf, als Finn sie fragend  ansah.

Steven hatte angefangen, mit einem Taschenmesser am Schloss der Tür zur Fahrerkabine zu hantieren. Eine Zeit lang sahen sie ihm dabei zu. Dann ging Sam zu ihm.

„Soll ich es vielleicht mal versuchen?“

Steven sprang auf und begann, mit dem Fuß gegen die Türe zu treten, er stemmte sich dagegen, versuchte, die Scheibe einzuschlagen. Dann drehte er sich um und sah die anderen an.

„Hat jemand zufällig größeres Werkzeug dabei?“

Lange sagte niemand etwas. Die Bahn fuhr weiter durch die mondbeschienene Landschaft. Alle hatten sich irgendwohin gesetzt und hingen ihren Gedanken nach.

„Leute, schaut mal „, sagte Makena und zeigte rechts aus dem Fenster.

Mitten im Nirgendwo war eine hell erleuchtete Tankstelle aufgetaucht, durch die Fenster konnte man ein Restaurant im Stil eines American Diner sehen, daneben stand ein sich drehendes Kinderkarussell mit Elefanten, Ponys und anderen Tieren. Ein Stück daneben stand eine weitere bunte Kirmesattraktion, deren Funktion sie aus der Ferne nicht erkennen konnten. Die Bahn fuhr die Tankstelle an und hielt dann ein Stück entfernt an einem Bahnhofsschild. Die Türen öffneten sich. Im Abteil regte sich niemand.

„Was steht da auf dem Schild?“, fragte Miriam.

Makena schirmte wie die anderen zuvor die Augen mit den Händen ab. Dann begann sie zu lachen, ein sympathisches, tiefes Lachen. Sie drehte sich um.

„Da steht Endstation.“ Sie sah die anderen ernst an.

„Oh Gott, nein!“, entfuhr es Miriam.

Makena lachte wieder.

„Stimmt nicht. Da steht einfach nur ‚Willkommen‘.“

„Sollen wir aussteigen?“, fragte Karen.

„Ich gehe auf keinen Fall da raus“, sagte Miriam. „Wir wissen doch gar nicht, wo wir hier sind!“

Die Tür des Diners öffnete sich. Eine Frau um die fünfzig in einem kurzen, schwarzen Rock, einer weißen Bluse, einer Schürze und einer Haube auf dem Kopf kam heraus und warf einen Sack Müll in eine große Tonne. Sie blickte zur Bahn herüber, lief dann auf sie zu und kam durch die offene Tür herein. Sie blieb stehen, holte einen Schreibblog aus der Tasche ihrer Schürze und blickte erwartungsvoll ins Abteil.

„Was darf´s sein?“

Keiner sagte etwas. Die Bedienung sah missmutig in die Runde, lehnte sich mit der einen Hand nach vorne an die Lehne des ersten Sitzes und stemmte die andere Hand in die Hüfte.

„Hört zu Leute, ich hab` keine Lust, wegen Ihnen hier hin und her zu rennen, nur um dann vor einer Herde doof guckender Schafe zu stehen. Also, ich wollte nur nett sein und Ihnen entgegenkommen. Ich werd´ jetzt wieder gehen, wenn Sie was bestellen woll´n, müssen Sie rüber ins Restaurant kommen.“

Sie verließ die Bahn und ging zurück in Richtung des Neonlichtes, das hell im Nichts strahlte. Das Kinderkarussell hörte auf, sich zu drehen. Eines der Tiere, ein Reh, hüpfte von der Drehscheibe herunter, sah zur Straßenbahn und sprang dann fort.

„Spinne ich?“, fragte Makena, doch keiner der anderen antwortete ihr. Die Bedienung musste das Reh gesehen haben, aber es schien sie nicht zu wundern.

Steven war wieder nach vorne zur Tür gegangen. „Ich gehe da jetzt rüber.“

„Wir werden alle gehen“, sagte Finn. „Wir sollten zusammen bleiben.“

„Ich gehe da nicht raus, auf keinen Fall. Wir sind mitten im Nirgendwo!“ Miriam zog sich weiter in ihren Sitz zurück.

„Was meint ihr?“ Finn sah zu Karen, Sam und Makena.

Nach und nach stiegen sie aus der Straßenbahn und liefen gemeinsam zur Tankstelle hinüber. Im Vorbeilaufen konnten sie nun auch die Kirmesattraktion neben dem Karussell erkennen. Sie bestand aus mehreren Schaufenstern, in dem verschiedene Dinge lagen. Warf man Geld ein, so konnte man einen Greifarm bewegen. Schaffte man es, den Greifarm so zu positionieren, dass er etwas zu fassen bekam, wurde es in einen Trichter geworfen und fiel unten aus einer Klappe heraus. In Neonbuchstaben leuchtete die Hälfte des Namens der Attraktion auf. Greifer.

Finn öffnete die Türe des Diners und sie traten ein. Hinter der Theke stand ein Koch und guckte auf einen kleinen Fernseher, in dem eine alte Serie in Schwarzweiß lief. Die Bedienung saß auf einem Hocker vor der Theke und trank Kaffee. „Wollen Sie jetzt was bestellen?“

Sie hatten sich an einen Tisch gesetzt, und alle hatten Kaffee bestellt.

„Okay“, sagte Steven und lehnte sich vor, „ich weiß echt nicht, was das hier alles zu bedeuten hat, aber ich habe beschlossen, erst mal mitzuspielen.“

„Bei was willst du mitspielen?“, fragte Miriam.

„Bei diesem Schauspiel hier“, sagte Steven. „Damit müsstest du dich doch auskennen.“

„Du hältst das für ein Schauspiel?“

„Klar, was soll das sonst sein? Ein gutes Schauspiel. Du könntest mitspielen, du bist auch eine gute Schauspielerin.“

„Woher willst du das wissen?“

„Du sahst sogar beim Weinen vorhin perfekt aus.“

Miriam sah Steven verletzt an.

„Mach mal langsam, ja?“, sagte Finn.

Steven schnaubte, hob dann den Arm und rief nach der Bedienung.

„Was darf´s sein?“, fragte sie, als sie vor ihnen stand.

„Was ist denn die Spezialität des Hauses?“, fragte Steven.

„Wir haben alles da, was Sie wollen. Kostet alles fünf neunundneunzig.“

„Wow.“ Steven sah theatralisch in die Runde. „Also dann hätte ich gerne den besten Kaviar, den Sie haben, mit dem besten Champagner, den Sie haben. Und ich hätte gerne noch irgendwas mit Trüffel. Was ist mir egal.“

„Okay“, sagte die Bedienung und blickte in die Runde. „Und Sie?“

„Warum kostet hier alles fünf neunundneunzig?“, fragte Sam.

„Keine Ahnung, ich mach´ die Preise nicht.“

„Warum nicht vier neunundneunzig oder sechs neunundneunzig?“, fragte Makena.

Die Bedienung schien gelangweilt. „Is´ vielleicht wegen dem Klang?“

„Wegen dem Klang?“, wiederholte Makena spöttisch.

„Vielleicht isses auch was Psychologisches. Vier neunundneunzig klingt zu billig, sechs neunundneunzig zu teuer? Woll´n Sie jetzt was essen oder nicht?“

„Ich hätte gerne was Kenianisches.“ Makena lehnte sich zurück, verschränkte die Arme und sah die Bedienung herausfordernd an.

„Okay.“

„Echt jetzt?“, rief Makena.

„Sie können auch was anderes haben, wenn Sie woll´n. Wir haben auch Burger und Pommes.“

„Ich nehme ein Steak mit Pommes. Und ein Bier“, sagte Finn.

„Du kannst alles haben, was du willst“, warf Steven ein.

„Ich mag gutes Steak.“

„Könnte ich einen Salat mit Putenbruststreifen haben?“, fragte Miriam.

Die Bedienung ging auf die Frage nicht ein, sondern schrieb es einfach auf. Dann sah sie Karen und Sam an.

„Pizza Funghi?“ Anscheinend fiel Sam nichts Besseres ein.

Steven lachte.

„Und ein Bier dazu bitte.“

„Kartoffelrösti mit Lachs. Haben Sie alkoholfreies Bier?“

Die Bedienung sah Karen an. „Schätzchen, ich sagte doch, Sie können bestellen, was Sie wollen.“ Dann ging sie zur Theke, über die der Koch gelangweilt mit einem Tuch wischte, und steckte den Zettel mit den Bestellungen an die drehbare Vorrichtung. Sie setzte sich wieder auf den Barhocker vor den Koch, trank einen Schluck aus ihrer Kaffeetasse und tippte dann auf die kleine Klingel. Der Koch grinste, nahm den Zettel ab, las ihn und verschwand durch eine Schwingtür.

„Leute, da draußen steht schon wieder dieses Reh“, sagte Makena. Sie sahen durch das Fenster nach draußen in die Dunkelheit, die nur von der Tankstelle, dem Karussell und der Greifarmattraktion erleuchtet wurde. Dahinter konnte man die Ödnis erahnen.

„Bedienung!“, rief Steven.

Sie kam an den Tisch.

Steven deutete nach draußen auf das Reh. „Kann ich das da mit Preiselbeeren haben?“

Keiner lachte.

„Ach, kommt schon Leute, ihr könnt das alles doch nicht ernst nehmen?“

Die Bedienung sah Steven an.

„Okay“, sagte sie.

„Was!“, riefen Karen und Miriam gleichzeitig.

„Nein, er will das nicht essen“, sagte Makena zur Bedienung, die mit den Augen rollte und wieder zurück zur Theke ging.

„Blödmann“, sagte Finn.

Steven sah zur Bedienung herüber. „Okay, es war ein Scherz!“

„Ganz toller Scherz.“ Miriam zog ihre Sommerjacke enger um sich. Sie schien permanent zu frösteln. „Humortechnisch gesehen bist du echt kein Vorbild.“

„Woher willst du wissen, ob ich als Vorbild tauge?“

„Jemand wie du sollte sich auf keinen Fall vermehren. Es gibt genug Deppen auf der Welt.“ Miriam sah auf ihren Kaffee hinab.

„Lass mich raten“, sagte Steven, „du hättest bestimmt gerne ein Kind, oder? Tickt die Uhr schon?“

„Steven“, sagte Finn warnend.

„Hoffentlich ist keine dumm genug, sich mit dir einzulassen.“

„Warum? Denkst du, ich wäre ein schlechter Daddy? Glaubst du, ich könnte einem Kind nichts bieten?“

Die Bedienung kam an den Tisch. Sie balancierte mehrere Teller auf ihren Armen. Einen stellte sie vor Sam.

„Ihre Pizza.“ Dann stellte sie zwei Teller vor Steven.

„Kaviar als Vorspeise, Rehmedaillons in Streuseln vom schwarzen Trüffel an Rotweinsauce, Ihr Champagner kommt gleich.“

Alle starrten auf den Teller, dann aus dem Fenster, dann wieder auf den Teller. Das Reh stand friedlich vor der Greifarmattraktion. Die Bedienung kam inzwischen mit weiteren Tellern und servierte alles genau so, wie es bestellt worden war. Makena sah auf ihren Teller.

„Wow, das hat meine Mutter immer für mich gekocht!“ Sie nahm eine Gabel und probierte. Dann lächelte sie.

„Du kommst also aus Kenia?“, fragte Sam.

„Ja. Ich bin wegen der Liebe hierhergekommen.“

„Kommen wir eigentlich alle aus derselben Stadt?“, fragte Karen.

Der Reihe nach nannten sie ihre Heimatorte. Jeder wohnte woanders.

„Irgendetwas muss uns verbinden.“ Miriam drehte sich nach der Bedienung um.

„Entschuldigung?“

Die Bedienung kam an den Tisch.

„Warum wurden wir hierhergebracht?“, fragte Miriam.

„Ach ja“, sagte die Bedienung, „Sie sind alle klinisch tot und bewegen sich momentan auf dem schmalen Grad zwischen Leben und Tod. Mal sehen, wer von Ihnen es schafft und wer hierbleibt und den Abwasch machen muss.“

Niemand sagte etwas.

Die Bedienung lachte. „Ich weiß nicht, warum Sie hier sind, was ist das für eine blöde Frage. Sie müssen das doch wissen.“ Sie ging zurück zum Koch, der wieder hinter der Theke saß und den Fernseher lauter machte.

„Ich kann mich erinnern, dass ich in der Werkstatt war“, sagte Steven.

„Ich habe ein Auto repariert. Dann habe ich meinen Sohn angerufen und mit ihm ausgemacht, wann ich ihn abhole. Wir wollten heute ins Kino gehen. Später bin ich in das Büro meines Chefs gegangen und …“ Steven stockte. „Da war etwas, aber ich kann mich nicht erinnern.“

„Du hast einen Sohn?“, fragte Miriam.

Steven sah sie an. „Stell dir vor.“

„Tut mir leid, ich wollte dich nicht, na ja, ich wollte nicht unhöflich sein.“

„Was war da?“, fragte Finn. „In der Werkstatt, was war da?“

Steven dachte nach, schüttelte dann aber resigniert den Kopf.

„Bei mir war auch etwas, an das ich mich nicht erinnern kann“, sagte Karen. „Ich bin ich in die Mittagspause gegangen und an einem Reisebüro vorbeigekommen. Ich habe in das Schaufenster geschaut. Da war so ein schönes Bild, und ich dachte, dorthin würde ich jetzt gerne fahren. Danach ist etwas passiert … Ich glaube, ich habe etwas gesehen. Was ist mit dir, Makena?“

„Ich erinnere mich daran, wie ich bei meinem Schwiegervater im Altersheim war. Er hat inzwischen sehr abgebaut, und ich kümmere mich um ihn, weil mein Mann vor fünf Jahren gestorben ist. Ich habe mich mit ihm gestritten. Es ging um meinen Sohn. Mojo.“

„Er hat zwei Namen, richtig?“, fragte Sam.

„Ja, Mojo Alexander. Wegen ihm habe mich mit meinem Schwiegervater gestritten. Mojo hat einen Platz bei einem Projekt in Kenia bekommen, und ich will mit ihm zurück in meine Heimat ziehen. Aber dann wäre mein Schwiegervater ganz alleine hier …“ Makenas Stimme war leiser geworden.  „Er sagte, ich solle wieder dahin zurück, wo ich hergekommen bin, und den Jungen dorthin bringen, wo er mit seiner Hautfarbe hingehört.“

Makena kratzte mit der Gabel die kalten Reste ihres Essens zusammen.

„Er ist nicht wirklich ein Rassist. Aber er ist ein verbitterter Mensch geworden. Er braucht meine Hilfe. Er nimmt so viele Tabletten, doch eigentlich hilft längst nichts mehr. Ich stand bei ihm am Bett, er sagte diesen Satz und bekam einen Anfall. Atemnot. Ich stand da, sah auf ihn herunter und dachte, das geschieht ihm recht. Würde er jetzt sterben, könnten Mojo und ich unsere Sachen packen und nach Kenia gehen. Und dann dachte ich , ich könnte jetzt einfach das Kissen nehmen und es ihm auf das Gesicht drücken.“ Makena atmete tief durch und war still.

„Ich kann deinen Gedanken verstehen“, sagte Sam. „Ich verurteile dich deshalb nicht.“

„Danke. Ich habe eine Entscheidung getroffen. Schon vorhin, als wir noch in der Bahn saßen.“

Makena legte Messer und Gabel ordentlich neben ihren Teller, schob beides mit dem Zeigefinder genau im gleichen Abstand von der Tischkante weg, korrigierte dann den Abstand, obwohl es da nichts zu korrigieren gab.

„Wie schmeckt eigentlich Kaviar?“, fragte sie dann unsicher.

„Echter Kaviar schmeckt sehr lecker“, antwortete Miriam. „Aber es gibt auch ganz billigen. Ich musste mal in einem Film Kaviar essen, und der war einfach nur furchtbar. Hat einfach nur nach Salz geschmeckt.“

„Also bist du Filmschauspielerin?“, fragte Karen.

„Manchmal spiele ich auch im Theater. Das ist eigentlich viel schöner, aber meistens sind es doch Filme. Ich war bei einem Vorsprechen für einen Film, der in den Fünfzigern spielt, ich hatte mich extra zurecht gemacht. Aber die haben mir gesagt, ich sei nicht hübsch genug für die Rolle.“ Sie sah nach unten auf ihren Teller. „Immer bin ich irgendwas anderes. Zu groß oder zu klein, du dick oder zu blond, zu alt oder hässlich, zu …“ sie lachte. „Einmal war ich zu schön! Man suche nach einer Charakterdarstellerin, wurde mir gesagt. Ich würde mit meinem Gesicht nur ablenken! Manchmal ist es wirklich lächerlich. Es ist immer so ein Kampf. Am Theater habe ich viele gute Rollen gehabt. Im Film spiele ich meistens Blondchen. Als Sekretärin bin ich super! Da habe ich echt Erfahrung.“ Sie lächelte.

„Zu sagen, du seist nicht hübsch genug, ist eine Frechheit“, sagte Finn. „Ich finde, an dir stimmt alles.“ Es klang nicht wie ein Kompliment, eher wie eine sachliche Feststellung.

„Danke.“ Miriam lächelte. „Ich höre so etwas Nettes nicht oft.“

Steven sah sie überrascht von der Seite an.

„So eine wie du bekommt keine Komplimente?“

Miriam spielte mit ihrer Serviette.

„Doch schon, aber, naja, ich bin mit einem Mann zusammen. Er meint, das Theater wäre nichts für mich. Ich habe ihm einmal ein Bild von mir gezeigt, auf dem ich geschminkt war. Aber eben nicht als schöne Frau, sondern ich sah darauf ziemlich unattraktiv aus. Das hat ihm gar nicht gefallen.“

„Hat er dich denn schon einmal im Theater gesehen?“, fragte Sam.

Miriam schüttelte den Kopf.

„Wird er auch nicht mehr. Bevor ich zum Vorsprechen gegangen bin, sagte er, ich solle damit aufhören. Alles, was mein Freund braucht, ist eine Frau, die ihn abends begleitet und nett aussieht. Er mag es nicht, dass ich um gute Rollen kämpfe. Gestern Abend waren wir auf einer Party. Dort war so ein Geschäftstyp, an den er gerne ran wollte. Als der Typ erfahren hat, dass ich Schauspielerin bin, fragte er nach, wo und was ich denn spielen würde. Ich erzählte ihm von der Rolle, bei der ich so unattraktiv aussah, und er rief aus: „Was? Das waren Sie!“ Er hatte das Stück im Theater gesehen, mich aber nicht wiedererkannt. Den ganzen Abend redete der Geschäftstyp mit mir. Seine Frau war auch sehr nett. Die beiden interessierten sich für mich. Das war sehr schön, aber als ich dann mit meinem Freund ins Taxi stieg, um nach Hause zu fahren, war der Abend gelaufen. Er war so sauer. Heute Morgen machte ich mich so zurecht, wie ich nun aussehe und wollte zum Vorsprechen. Da sagte er: „Das wird garantiert nichts, das sieht nicht nach Charakterrolle aus, und auf die bist du ja jetzt anscheinend ‚abonniert‘.“

„Dein Typ ist ein Arsch. Willst du es mit mir versuchen?“

„Du bist wirklich sehr feinfühlig, Steven“, sagte Finn.

„Ich weiß gar nicht, was ich überhaupt versuchen will, aber danke für das Angebot. Ich weiß nur noch, dass sie zu mir sagten, ich sehe nicht gut genug aus für die Rolle und dann ging ich zur U-Bahn.“

Miriams Gesicht verdunkelte sich.

„Alles okay?“, fragte Makena.

„Würdet ihr mich bitte entschuldigen?“ Miriam stand auf und ging zur Türe. Durch das Fenster konnten sie sehen, wie sie zum Karussell ging und sich auf eines der Tiere setzte. Das Karussell begann sich langsam zu drehen.

„Scheint so, als könne sie sich erinnern“, sagte Sam.

„Ich kann mich jetzt auch wieder erinnern“, sagte Steven. „Ich bin in das Büro meines Chefs gegangen und er lag auf dem Boden. Er hatte wohl so etwas wie einen Herzinfarkt. Ich kniete mich neben ihn, redete mit ihm, und dann plötzlich war er ruhig, es war, als fiele er in sich zusammen. Ich stand auf, weil ich mein Handy in der Jackentasche hatte, und die lag noch in der Werkstatt, da fiel mein Blick auf den offenen Tresor.“ Steven gab ein schnaubendes Lachen von sich. „So dick“, sagte er und hielt Daumen und Zeigefinger einige Zentimeter voneinander entfernt, „so dick waren die Geldbündel, die da im Tresor lagen.“ Steven fuhr mit dem Zeigefinger über den Rand seines Champagnerglases. „Danach bin ich in der Bahn aufgewacht.“

Draußen vor dem Fenster stieg ein Pony vom Karussell und lief auf dem Platz vor dem Diner herum.

„Was ist mit dir, Finn? Kannst du dich erinnern?“

„Ja. Wir waren auf See draußen und sind in einen Sturm geraten. Eine Welle hat unser Boot in Schieflage gebracht. Zwei Männer wurden vom Wasser mitgerissen, konnten sich aber an Seilen festhalten. Ich war am nächsten dran, habe mir ein Seil geschnappt und … musste mich entscheiden. Ich habe das Seil dem jüngeren zugeworfen. Der ist gerade erst Vater geworden. Ein Mädchen. Ich habe drei Mädchen zu Hause, wisst ihr? Drei Mädchen und die älteste hat selbst schon zwei Mädchen. Die mittlere wird ihr erstes in zwei Monaten bekommen, und hey, es ist ein Junge!“

Finn trank sein Bier aus.

„Ich hätte es auch dem älteren hinwerfen können, aber ich musste mich entscheiden.“

Draußen vor dem Fenster sprang ein Fuchs vom Karussell.

„Viel gibt es da nicht zu erzählen. Ich habe einen Mann sterben lassen, um den anderen zu retten. Als ich an meinem Spind stand, las ich die Anzeige in der Zeitung. Ich hatte sie mir ausgeschnitten. In meinem Spind hängt ein Anzug. Ich wollte zur Beerdigung. Seine Witwe … sie weiß nichts von meiner Entscheidung. Sie weiß nur, dass ich den einen gerettet habe, aber nicht, dass ich dafür ihren Mann habe sterben lassen. Seitdem habe ich darüber nachgedacht, ob ich es ihr sagen soll oder nicht.“

Draußen war Miriam zu den Schaufenstern geschlendert und besah sich die Gewinne.

„Ich brauche frische Luft.“ Finn stand auf.

„Ich werde mal nach Miriam sehen.“ Auch Makena erhob sich.

„Kommt ihr mit?“, fragte Steven an Karen und Sam gewandt.

Makena und Miriam standen vor den Schaufenstern. Die beiden Männer drehten sich langsam auf dem Karussell. Finn saß in einem Schwan, Steven ließ die Beine von einem Elefanten baumeln. Die Bedienung kam aus dem Diner und trug einen Müllbeutel. Sie öffnete die Klappe des Mülleimers und warf den Beutel hinein.

„Die werfen aber viel Müll weg hier“, stellte Finn fest.

Im Diner saßen Karen und Sam noch am Tisch.

„Ich habe dich gesehen“, sagte Karen. „Als ich vor dem Reisebüro stand. Ich habe über die Straße geschaut und dich gesehen. Weißt du, wie ich darauf gekommen bin? Als ich dich von dort aus anrief, habe ich das Hupen eines Autos gehört. Ich habe das Auto gesehen. Und ich wusste, du siehst es auch, denn ich habe das Hupen auch aus dem Handy gehört.“ Karen sah Sam an.

„Wie lange geht das schon mit dieser Frau?“

Sam antwortete nicht.

„Wir haben alles, was wir uns gewünscht haben, Sam. Wir haben gute Jobs, wir verdienen viel Geld, wir haben eine tolle Wohnung. Warum?“

„Wir haben alles, was du dir gewünscht hast, Karen. Du wolltest Karriere machen, du legst Wert auf eine tolle Wohnung. Ich hätte mich mit viel weniger zufrieden gegeben. Weniger Geld, ein kleineres Auto. Ich sitze gerne abends zuhause, ich koche gerne.“

„Warum hast du nie etwas gesagt?“

„Ich habe es dir gesagt, aber du wolltest unbedingt dein Ziel erreichen. Also habe ich dich gelassen. Ich liebe dich, Karen.“

„Aber du triffst dich mit einer anderen Frau!“

„Ja, das tue ich. Wir gehen manchmal in den Park, ins Kino. Wir gehen zusammen laufen. Im Zoo waren wir auch. Wir kochen manchmal zusammen. Du bist oft abends noch im Büro oder auf irgendwelchen Empfängen. Ich muss mir noch nicht einmal Ausreden einfallen lassen. Aber ich kämpfe um dich, Karen. Hast du das denn nie gemerkt? Immer, wenn du nach Hause kommst, abgekämpft bist von deinem Job, dann koche ich dir etwas. Ich habe die Wohnung eingerichtet, ich habe uns eine Katze geholt. Ich versuche immer, dich da raus zu holen, denn es tut dir nicht gut. Du hast dich verändert. Du bist hart geworden.“

„Ich weiß“, sagte Karen.

Sam schob seine Hände über den Tisch und nahm ihre Hände in die seinen.

„Karen, willst du das wirklich, was du da tust? Willst du die Frau da oben an der Spitze deiner Firma sein? Willst du diese tolle Wohnung, den Chauffeur?“

Karen weinte.

„Ich weiß nicht, Sam.“ Karen nahm seine Hände und küsste sie. „Aber ich weiß, dass ich nicht so ein Leben haben will wie du es willst. Es tut mir leid.“

Karen und Sam gingen hinaus zu den anderen, die alle vor den Schaufenstern standen. Jeder warf ein Geldstück ein und zog mit dem Greifarm etwas heraus. Zwei Vögel flatterten über sie hinweg, als sich die Tür der Bahn öffnete. Sie stiegen ein.

Die Bahn verschwand im Dunkel. Die Bedienung und der Koch sahen auf den Fernseher.

„Die Schrift ist kaputt“, sagte die Bedienung.

Der Koch ging hinaus und hantierte am Stromkasten der Attraktion herum.

„Geht wieder“, sagte er, als er hereinkam.

Im Fernsehen sahen sie, wie sich Makena neben ihren Schwiegervater setzte und blieb. Sie hielt ihm die Hand und lächelte. Sie sahen, wie Steven den Notarzt rief und Finn auf die Beerdigung ging und mit der Witwe sprach. Sie sahen Karen, die in einer neuen Firma anfing und Sam, wie er mit der anderen Frau spazieren ging. Und sie sahen Miriam auf dem Bahnsteig stehen. Sie trat einen Schritt näher an das Gleis heran, dann noch einen. Die Bedienung und der Koch sahen abwechselnd auf den Fernseher und hinaus zum Karussell. Eine Durchsage ertönte und kündigte das Einfahren der Bahn an. Miriam hob den Fuß für ihren nächsten Schritt, und im Diner sahen die beiden wieder zum Karussell, aus dem sich ein weiteres Tier löste.

„Knapp“, sagte die Bedienung.

Das Karussell drehte sich im Mondschein, und auch das Wort Traum leuchtete nun in die Nacht hinein.

 

 

Zusatzinfos und Hintergründe zu der Geschichte:

Ich habe Benjamin Nachtwey vor einigen Jahren bei den Kunstpunkten kennengelernt, als ich ihn in seiner Galerie besuchte. Dort hingen damals einige Bilder aus seiner Tankstellenserie, und eines davon hatte es mir besonders angetan. Eine Tankstelle, die in die einsame Nacht hinaus leuchtete. Darauf basierend entstand diese Kurzgeschichte.

 

Bilder von Benjamin Nachtwey finden ihr hier:

https://benjaminnachtwey.tumblr.com/gasstations