Vor vielen Jahren stolperte ich über zwei Bücher der Autorin Barbara Sher, die den Begriff „Scanner-Persönlichkeit“ entwickelt hat. Scanner sind Menschen, die ein stark ausgeprägtes Interesse an vielen verschiedenen Themen, Projekten oder Hobbys haben. Sie eignen sich schnell neue Themengebiete an, einfach, weil sie neugierig und interessiert sind, verlieren dieses Interesse jedoch oft schnell und sind gelangweilt.
Ich kenne mich mit dieser Thematik aus, denn ich bin eine Scanner-Persönlichkeit. Als ich die Bücher von Barbara Sher damals entdeckte, dachte ich: Super, da hat jemand über Menschen wie mich geschrieben! Aber, nun ja, wie soll ich sagen? Nach der Hälfte der Lektüre war mein Interesse nicht mehr ganz so groß wie am Anfang. Typisch für jemanden wie mich.
Die Herausforderungen einer Scanner-Persönlichkeit
In unserer Gesellschaft werden Menschen geschätzt, die geradlinige Lebensläufe aufzuweisen haben, sich auf Themen spezialisieren und darin tiefgehende Expertise besitzen. Die Gesellschaft schätzt Menschen, die ihren Platz im Leben gefunden haben, die angekommen sind. Viele Scanner fühlen sich durch den ständigen Wechsel ihrer Interessen unsicher und fragen sich, ob sie jemals wirklich erfolgreich sein können oder jemals ihren Platz im Leben finden. Eine ehemalige Klassenkameradin sagte vor vielen Jahren mal zu mir: „Privat bin ich schon lange angekommen“. Dieser Satz traf mich damals mitten ins Herz und in die Seele. Und er tat sehr weh.
Wo ist mein Platz im Leben?
Wer bin ich, was bin ich, was kann ich und was will ich überhaupt machen? Diese Fragen konnte ich mir lange nicht beantworten. Was ich mal werden will? Weltenbummlerin, Klarinettenspielerin (aber nur extrem kurz, zwei Wochen nach dem ersten Klarinettenunterricht war es schon wieder vorbei), Zirkusartistin, Tierpflegerin, Botanikerin, Meeresbiologin und noch vieles anderes. Was bin ich stattdessen geworden? Eine Theaterdramaturgin, die nie in diesem Beruf gearbeitet hat. Stattdessen verdiente ich mein Geld mit Jobs wie Näherin, Monteurin beim Messebau, Ausstellungstechnikerin, Friedhofsgärtnerin, 3D-Designerin und ich war auch schon als Aktmodell unterwegs. Glücklich gemacht haben mich diese Jobs auf Dauer nicht. Aber sie haben mein Leben in einer Art und Weise finanziert, die es mir ermöglichte, den einen großen Traum nachzugehen. Den großen Traum, den ich schon als kleines Kind hegte, und den ich heute lebe: Ich bin Schriftstellerin.
Warum die Schriftstellerei perfekt für Scanner ist
Für Scanner-Persönlichkeiten bietet die Schriftstellerei eine gute Möglichkeit, sich in ihren vielseitigen Interessen auszutoben, fordert das Schreiben doch genau diese Vielfalt und Neugier.
- Ständige Abwechslung und Vielfalt: Schriftsteller und Schriftstellerinnen bietet sich bei jedem neuen Projekt die Möglichkeit, in eine andere Welt einzutauchen, egal, ob es sich einen Roman, ein Sachbuch, einen Artikel, Essay oder ein Drehbuch handelt. Jeder Text, jede Geschichte erfordert eine neue Recherche, neue Charaktere und oft auch das Eintauchen in völlig unterschiedliche Berufe, Hobbys oder auch Kulturen.
- Unendliche Lernmöglichkeiten: Scanner-Persönlichkeiten lieben das Erlernen von neuen Themengebieten, und das kommt ihnen bei der Recherchearbeit besonders entgegen. Beim Schreiben müssen sie sich immer wieder neues Wissen aneignen, sei es über historische Ereignisse, wissenschaftliche Entdeckungen oder exotische Schauplätze. Die Liste ist lang – ein wahrer Spielplatz für Scanner!
- Kreative Freiheit: Schriftsteller und Schriftstellerinnen haben die Freiheit, ihren momentanen Interessen nicht einfach nur nachzugehen und dann ungenutzt verpuffen zu lassen, sondern sie zu nutzen und im Idealfall damit sogar Geld zu verdienen. Scanner leben auf Raumstationen, besitzen einen Buchladen in Irland, machen die Meere als Piraten unsicher oder schlüpfen eine Romanlänge lang in historische Persönlichkeiten wie zum Beispiel Virginia Woolf. Sie können sogar als Katze, Fisch oder Maus unterwegs sein oder in einer WG mit einem Känguru leben. Alles ist möglich. Und beim nächsten Buch ist alles anders, je nachdem, was gerade interessant ist.
- Selbstbestimmung: Scanner, die schreiben, haben die Freiheit, selbst zu entscheiden, woran sie arbeiten möchten. Sie bestimmen selbst ihre eigenen Projekte, und diese Selbstbestimmung gibt ihnen die Flexibilität, ihren Neigungen und aktuellen Interessen nachzugehen, ohne sich langfristig binden zu müssen.
Bin ich jetzt angekommen?
All die Jahre hindurch habe ich keinen festen Platz im Berufsleben gefunden, ich war ständig auf der Suche nach etwas, was mich glücklich machte. Heute weiß ich: Ich habe unter den falschen Parametern gesucht, denn was ich suchte, hatte ich schon längst gefunden. Ich war und bin eine Schriftstellerin. Schreiben ist meine Berufung, und mit ihr kann ich all meine unterschiedlichen Interessen ausleben. Bin ich angekommen? Das weiß ich nicht, denn ich glaube, meine schriftstellerische Reise wird nie irgendwo ankommen, schließlich gibt es ja noch so viel zu entdecken! Bin ich glücklich? Mal mehr, mal weniger, denn das Schriftstellerdasein kann extrem frustrierend sein. Bin ich zufrieden? Definitiv ja.
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