„Die heutige und historische Bilderwelt ist voller Inspiration.“
Heute stelle ich euch Dirk Jürgensen vor, den ich als Fotograf bei vielen Ausstellungen und anderen Gelegenheiten schon getroffen habe. An seinen Bildern gefällt mir, dass sie oft Momentaufnahmen von Geschichten erzählen. Was denkt die Frau mit dem Kinderwagen über das Paar, das sich so gut versteht, oder hat sie nur Augen für die Storchenfamilie? Wer mag wohl bei dem Geistlichen im Beichtstuhl sitzen? Was für ein Leben hat der Fischer geführt, der sein Boot streicht?
Viel Spaß euch mit Dirk, seinen Antworten und seinen Bildern!
Ich kenne vor allem deine Vanitas-Fotografien und die Schwarzweißbilder von Düsseldorf. Sind das Deine Schwerpunkte und was interessiert dich daran besonders?
Meine Schwerpunkte liegen vor allem darin, Entdeckungen beim Durchstreifen meiner Umgebung zu machen. Im weiten Sinne mache ich Straßenfotografie, egal, wo sich die Straßen befinden. Dass viele meiner Bilder in Düsseldorf entstehen, liegt einfach daran, dass Düsseldorf mein Heimatort ist. Könnte ich öfter verreisen, würde sich das Übergewicht der Düsseldorf-Fotografien wohl verringern, zumal eine fremde Umgebung oft anregender als eine gewohnte auf mich wirkt. Die Streetphotography funktioniert für mich in den meisten Fällen schwarzweiß. Das schließt allerdings nicht aus, dass manchmal Farben der beabsichtigten Bildaussage guttun.
Meine Vanitas-Serie ist im Grunde ebenso wie meine Straßenbilder entstanden. Mir fiel in verschiedenen Gärten und Parks der Stadt auf, dass die Blumen – hauptsächlich waren es Rosen – im Verblühen eine ungeheure Vielfalt an Farben entwickeln. Sofort hatte ich im Sinn, diese Schönheit in der Vergänglichkeit zu dokumentieren. Bei der Arbeit mit den Bildern, entstand eine malerische Bildwirkung, wie wir sie aus den Vanitas-Stillleben seit der Renaissance kennen, die ich gerne mit der Auswahl eines besonderen Papiers unterstütze. Wenn ich die Bilder diese Serie zeige, muss ich übrigens immer wieder erklären, dass es sich um keine Studioaufnahmen mit irgendwie hergerichteten Blüten und Blättern handelt, dass man in der Natur ab und zu nur etwas genauer hinschauen muss, um solche Schönheiten zu entdecken. Ich will nicht ausschließen, dass irgendwann einmal neue Bilder dieser Serie entstehen. Im Großen und Ganzen ist das Thema für mich inzwischen aber fertig bearbeitet.
Wenn ich mir deine Social media Bilder anschaue, denke ich immer: der ist aber ganz schön viel unterwegs. Gehst du ganz bewusst mit der Kamera los, oder ist das eher etwas Spontanes?
Schon aus gesundheitlichen Gründen halte ich meinen alten Körper möglichst in Bewegung. Nicht immer sportlich auf dem Rad, oft einfach zu Fuß. Wenn es das Wetter zulässt, täglich. Außer auf dem Rennrad begleitet mich beinahe immer mindestens eine Kamera. Ich denke, wenn ich durch Düsseldorf streife, werde ich oft für einen Touristen gehalten.
Mit was für einer Kamera fotografierst du.
Vorab: Technik interessiert mich nicht. Während in machen Fotoforen erwartet wird, dass man das Kameramodell, vielleicht auch noch Belichtungszeit und Blende nennt, zählt für mich – außer vielleicht bei einer Reihe von 30-Sekunden-Bildern, die immer mal wieder mache – allein das fertige Bild. Auch Kameras für 10.000 Euro können schlechte Bilder erzeugen. Sozialmedia ist für mich eine Notlösung, viel lieber würde ich meine Fotos allen Interessierten auf Papier präsentieren können.
Aber da Du fragst: Wenn ich wenig Gewicht mitnehmen möchte, sieht man mich mit einer Fujifilm X100s. Sie ermöglicht mir das Fotografieren wie in alten Zeiten, denn sie besitzt ein festes Objektiv, also keinen Zoom, das ungefähr dem 35mm-Objektiv einer früher üblichen Kleinbildkamera entspricht. Manchmal tut es gut, sich auf gewisse technische Beschränkungen einzulassen.
Wenn ich mir mehr Gewicht zumuten möchte, oder ein Ergebnis im Sinn habe, das ich mit der Fuji nicht erreichen kann, packe ich meine Canon Eos 5d Mark III in die Tasche. Mit meinen Objektiven (24-70mm und 70-200mm) und ihrem Sensor im Vollformat bietet sie mir die Freiheiten, die ich mir wünsche. Trotzdem werde ich mir irgendwann eine etwas leichtere Alternative für die Reise zulegen.
Für Technik-Nerds sind beide Kameras inzwischen in die Jahre gekommen, aber s.o..
Mit dem Smartphone fotografiere ich sehr selten und bin mit dem Ergebnis meistens nicht zufrieden, die damit entstandenen Bilder dienen nur der Dokumentation. Auch fehlt mir die Haptik einer klassischen Kamera, die ich als künstlerisches Werkzeug brauche.
Nicht ganz nebenbei ist mir wichtig, dass ich den ganzen Produktionsprozess in meiner Hand behalte. Ich habe mir dazu einen professionellen Drucker angeschafft und lege besonders viel Wert auf die Auswahl der Papiere. Das verwendete Papier ist in meinem vielleicht konservativen Verständnis der Fotografie ein wesentlicher Qualitätsaspekt.
Lässt du dich von anderen Fotografen inspirieren? Gibt es ein Vorbild, das du hast?
Einen einzelnen Fotografen oder eine einzelne Fotografin kann ich gar nicht nennen. Die heutige und historische Bilderwelt ist voller Inspiration. Gerade in der Straßenfotografie gibt so unendlich viele Vorgänger/innen, die das Genre, die inzwischen tradierte Bildsprache und ihre beinahe allgemeingültige Rezeption haben entstehen lassen. Niemand, der mit seiner Kamera durch die Straßen streift, wird keine Fotos von Arget, Stieglitz, Brassai, Cartier-Bresson oder so unendlich viele andere im Hinterkopf haben, ohne sie je erreichen zu können. Architekturaufnahmen bei trübem Wetter kann man heute schnell mit den Bechers in Verbindung bringen. Und hätte ich ihre Bilder früher kennengelernt, könnte ich Evelyn Richter als Vorbild nennen. Aber das mit den Vorbildern ist alles so eine Sache. Ihnen nachzueifern, begrenzt eher die eigenen Kreativität und man tritt in einen Wettbewerb, bei dem man sich nur als Verlierer fühlt. Als Kind schnappte ich mir im Urlaub immer wieder die Agfa meines Vaters, weil ich den Eindruck hatte, die besseren Bilder zu machen. Zumindest landeten die von mir Abgelichteten nicht abgeschnitten am unteren Bildrand, wodurch ich die Kamera immer öfter übernehmen durfte. Ich habe mich früh darüber gewundert, dass manche Menschen sich offenbar im Sucher noch keine Vorstellung vom gewünschten Bildausschnitt machen konnten. Und als ich mit vom Konfirmationsgeld Anfang der Siebziger meine erste Spiegelreflexkamera kaufte, hatte ich beim Knipsen sicher auch keine große Namen im Sinn. Ich weiß noch, wie ich kurz nach einem Rheinhochwasser loszog, um den in Schlangenlinien zurückgebliebenen Müll fotografierte. Vermutlich hatte ich schon damals die Idee, das verborgene Schöne zu zeigen und ich weiß genau, dass ich „gutes Wetter“ bezüglich meiner Fotografie schon immer für absolut überschätzt gehalten habe. Wichtig ist ein brauchbares Auge, nach Möglichkeit und ohne zu verkrampfen so etwas wie eine eigene Bildsprache zu entwickeln. Letzteres ist wohl ein Indiz für gute künstlerische Fotografie. Wäre ich mit einer besseren Feinmotorik ausgestattet und wäre mit meinen Malversuchen zufriedener gewesen, würde ich vielleicht den Pinsel schwingen, statt den Auslöser zu betätigen.
Immer wieder mal treffe ich dich hier in Düsseldorf bei diversen Veranstaltungen. Nicht nur dich, sondern auch andere bekannte Gesichter, die in der Kunstszene unterwegs sind. Wie wichtig ist es dir, Teil eines Netzwerkes zu sein?
Da sprichst du etwas an. Ich bin ein grottenschlechter Netzwerker und freue mich, wenn meine Bilder für sich und mich sprechen dürfen und gewissermaßen Kontakte knüpfen können. Zwar erfahre ich, wenn ich meine Bilder öffentlich zeigen darf, immer wieder wunderbare Bestätigungen, aber Eigenwerbung liegt mir fern. Das ist ein Umstand, der im künstlerischen Umfeld eher hinderlich ist. Zudem fühle ich mich als Autodidakt immer als eine Art Außenseiter, der angesichts der vielen ausgebildeten Künstler/innen seltener die Möglichkeit bekommt, seine Qualität zu beweisen.
Wann kann man dich und deine Arbeiten in der nächsten Zeit sehen?
Für April ist eine Ausstellung mit zahlreichen anderen Fotokünstler/innen im Stahlwerk Becker in Willich geplant. Ich werde dort unter dem Motto „Tatorte“ eine Auswahl von Straßenfotografien zeigen, wenngleich die Absperrgitter einer Crime Scene noch nicht in meinem Fundus liegen.
Vielleicht gibt es am letzten Oktober-Wochenende ein Wiedersehen mit dem kleinen Fischerdorf Ditzum in Ostfriesland, wo ich gemeinsam mit Maria und auch schon einmal mit meinem malenden Sohn Magnus Bilder präsentieren durfte. Dort öffnet das ganze Dorf seine Türen für Kunstinteressierte von überall her.
Ansonsten stehen wieder Aktionen wie Art in the Park im Düsseldorfer Volksgarten, der Artwalk im Medienhafen und Kunst ab Werk im Areal Böhler in meinem Kalender.
Es soll nicht abfällig klingen, aber lieber präsentiere ich meine Fotos an einer Wand hängend, als unter freiem Himmel. Aber egal wo, ist es ist immer wieder schön, mit Menschen über die Bilder ins Gespräch zu kommen, Geschichten zu den Bildern erzählen zu dürfen und Bestätigung zu erfahren.
Sicher kommen noch Termine hinzu, von denen ich heute noch nichts weiß.
Für Menschen, die es nicht abwarten können, empfehle ich meinen aktuellen Fotoband. Ich habe darin – ich nenne ihn „Katalog“ – eine Menge von schwarzweißen Fotoarbeiten aus den letzten Jahren zusammengestellt. Man kriegt ihn bei mir und überall, wo es Bücher gibt.
Dirks Fotoband findet ihr hier:
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