„Man muss sich dumm stellen“

 

Klaus und ich haben uns bei den Kunstpunkten kennengelernt, als ich zu Besuch in seinem Atelier war, und bis heute Besuche ich ihn dort immer wieder, um mir seine Werke anzuschauen. Heute möchte ich ihn euch vorstellen.

Klaus schafft in seinen Werken Momentaufnahmen nicht nur auf Leinwand, sondern auch in seiner Wortkunst. Die Emotion, die seine Bilder in mir auslösen, ist oft von Melancholie geprägt, seine Bilder erinnern mich – und ich muss für die Lesenden hier klarstellen: ich habe keine Ahnung von Kunst – manchmal an alte Meister und ihre Stillleben. Es sind Momentaufnahmen von Dingen, die schon im nächsten Moment, spätestens in den nächsten 24 Stunden, so nicht mehr aussehen werden. Eine Gabel, die auf einem Tisch liegt, wird weggeräumt werden, ein Brot wird vertrocknen, ein Bonbon gegessen werden. Klaus Sievers ist jemand, der in seiner Malerei alltäglichen Dingen Raum gibt, der in seiner Kunst den Moment, den Augenblick verewigt.

Auch in seiner Wortkunst ist dieser Ton oft zu hören, jedoch gibt es auch Texte, die in eine lautere Richtung gehen, die eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber den Konsequenzen des eigenen Handelns aufzeigen, was sie ein wenig anarchistisch macht. Manche seiner Texte wirken wie eine Fahrt auf der Überholspür – ohne Anschnallgurt.

Damit ihr euch ein Bild über diesen sehr vielseitigen Künstler machen könnt, habe ich hier einige seiner Werke eingestellt und ihm ein paar Fragen gestellt.

 

Klaus, in deinen Bildern malst du Dinge, die völlig alltäglich sind, die uns kaum auffallen oder die uns sogar nerven. Ein liegengelassener Löffel, über den wir uns vielleicht ärgern, weil der Partner oder die Partnerin ihn liegengelassen hat. Wir würden ihn wegräumen, du gibst ihm Raum, indem du ihn malst. Wie suchst du dir die Motive für deine Bilder aus?

Nach Sympathie. Etwas muss mir auffallen, und ich muss es mögen, sonst kann ich es nicht malen. Ich muss auch in gewisser Weise von Dingen überrascht sein, sie aus einem anderen Blickwinkel sehen, damit sie interessant werden. Auch Humor ist wichtig: wenn mich etwas nicht in gewisser Weise amüsiert, ist es nicht darstellenswert.

 

In einem Interview mit dem Radio Plapperpop sagst du, dass du immer in Veränderung als Maler bist. Wie würdest du die Phase beschreiben, in der du gerade bist? Hast du momentan ein spezielles Thema oder eine Technik, mit der du dich beschäftigst?

Momentan habe ich gerade sehr viel Spaß dabei, recht kleine Bilder zu malen. Das geht schneller, ich kann auf Ideen oder Beobachtungen spontaner reagieren. Im Idealfall ist dann ein Bild von der Idee bis zum letzten Strich in zwei Tagen fertig. Dann kommt das Nächste. Ich mag diesen seriellen Charakter der Produktion, eine Geschichte, die sich weiterschreibt. Und: Kleine Bilder kommen nicht so gewichtig daher, beanspruchen in vielerlei Hinsicht nicht so viel Raum, geistig wie physisch. Ich stehe Gewichtigem wohl immer skeptischer gegenüber. Sollte Kunst nicht leicht sein?

 

Nun ja, darüber ließe sich nun ganz wunderbar streiten, will ich meinen. Wenn ich an die beiden Künstlerinnen Marina Abramović und Yoko Ono denke, ist da doch vieles dabei, das beim Betrachten kein gutes Gefühl übermittelt. Selbiges bei Ai Weiwei. Da es keine eindeutige Antwort darauf gibt, ob Kunst leicht sein sollte oder nicht, würde mich deine Meinung als Betrachter von Kunst interessieren. Einige Menschen finden es wichtig, dass Kunst eine tiefgreifende Bedeutung hat und sich mit schwierigen Themen befasst, während andere einfach nur die Schönheit der Kunst genießen möchten. Yoko Ono und Marina Abramović – als Beispiel genannt – sind beide bekannte Künstlerinnen, deren Arbeiten oft als herausfordernd und provokativ angesehen werden. Wie stehst du als Betrachter einer solchen Kunst gegenüber?

Ich denke, Kunst sollte schon mehr sein als nur provokativ, sie sollte Bilder finden und berühren, auch und gerade bei schwierigen Themen. Da finde ich Abramovic toll, gerade ihre Aktionen mit Ulay waren doch schön und gefährlich zugleich, poetische Meisterwerke. Diese künstlerische Kraft vermisse ich bei Ai WeiWei. Es reicht nicht, nur auf der richtigen Seite zu stehen.

 

Im eben erwähnten Interview zitierst du eine Frage von Kant. Sie lautet: „Kann ich suchen, was ich nicht kenne.“ Und? Kannst du?

Man muss. Der Job eines Künstlers, einer Künstlerin. Man startet mit einer Ahnung und dem Willen, herauszufinden, was einen umhertreibt. Und robbt sich Bild für Bild an etwas heran, was man nicht kennt. Nicht die guten, sondern gerade die missratenen Werke helfen, den eigenen Weg zu finden.  Man muss dann seine intuitive Vorgehensweise korrigieren bzw. schärfen. Eine Pendelbewegung zwischen Anarchie und Ordnung.

 

Wie viel „Ausschuss“ hast du, was deine Arbeit angeht? Viele meiner Kolleginnen und Kollegen aus dem Schriftstellerischen Bereich verwerfen manchmal ganze mehrseitige Kapitel, weil es ihnen nicht gefällt. Eine tagelange Arbeit wandert einfach mal in den Müll. Bei mir zum Beispiel ist das anders. Ich schreibe erst nur das nötigste auf und arbeite dann später noch ein wenig aus. Wie ist das bei dir? Wie viele Leinwände übermalst du, weil es dir nicht gefällt? Oder ist das ein Prozess und das übermalen gehört einfach dazu?

Ich persönlich übermale nicht, sondern werfe gleich weg. Manchmal war die Idee schlecht, oder nicht ganz zu Ende gedacht, dann versucht man weitere Versionen, oder man sollte es sacken lassen und sich etwas anderem zuwenden. Man braucht wohl eine hohe Frustrationstoleranz. Meine Erfahrung ist, das gute Sachen auch relativ problemlos entstehen. Wenn es anstrengend wird, dann passt irgendwas nicht. Trotzdem muss ich dann diesen Weg bis zum Ende gehen, um zu sehen, wo das hinführt und was mich in Wahrheit gestört hat. Früher habe ich manch schlaflose Nacht wegen eines missratenen Bildes verbracht, das ist heute zum Glück nicht mehr so.

 

Wir beide haben uns mal abends getroffen und ich du erzähltest mir über deine Zeit auf der Akademie in Düsseldorf. Du erzähltest, du warst einmal bei deinen Eltern zu Besuch und hast den Garten gemalt. Einen Baum, einen Busch und noch einen Busch. Du maltest es so, wie es im Garten deiner Eltern tatsächlich der Fall war. Dein Dozent kommentierte dein Bild dann mit einem Satz, der für mich das, worum es in der Kunst unter anderem geht, sehr auf den Punkt gebracht hat. Magst du uns diese Anekdote erzählen und uns den Satz zitieren?

Mein Professor fand das Bild zu voll, und er hatte recht. Ich solle etwas weglassen, und ich fragte ihn, nach welcher Richtlinie ich denn vorgehen solle, schließlich wäre alles, was ich gemalt habe, genau so zu sehen gewesen. Mit welcher Berechtigung könne ich denn etwas weglassen, etwas anderes aber nicht? Seine Antwort: Es gibt die Wirklichkeit, und es gibt das Bild. Ich würde nur an die Wirklichkeit denken, aber nicht daran, was das Bild benötigt. Ich müsse beides zu seinem Recht kommen lassen, die Wirklichkeit aber eben auch das Bild. Und dem Bild tue es gut, wenn ich das, was ich sehe, sortiere, auch aussortiere. Eine banale Erkenntnis, die mir aber in diesem Moment sehr geholfen hat. Ich bekam sehr viel Spaß dabei, Bilder im Kopf zu konstruieren, und es war mir dann oft schnell klar, was „reingehört“ und was eben nicht. Heute denke ich, Weglassen ist in der Kunst sowieso das Wichtigste.

 

Du bist sowohl Maler als auch ein Künstler, der mit der Sprache arbeitet. Beides ist schwer miteinander zu vergleichen. Dennoch: Worin liegen für dich die Unterschiede, die für dich wichtig sind? Worin liegen Ähnlichkeiten?

Eigentlich entstehen meine Malerei und meine Texte nebeneinander. Aber gerade in der Ideenfindung sehe ich Parallelen. Damit etwas gelingt, muss ich mich überall fragen, ob mich das Thema, die Sicht, das Ding, berührt, ob ich es mag, ob ich das Ergebnis überhaupt sehen will. Welche Geschichte erzählt werden soll. Humor ist dabei ganz wichtig, ja zentral. Die genannten Kriterien gelten sowohl für meine bildliche als auch meine sprachliche Produktion. Kann ich mit meinem Material frei umgehen, oder bin ich gehemmt, weil etwas zu schön, zu wichtig ist. Ich darf mich nicht fürchten etwas zurechtzubiegen.

 

Du hast dein Studium an der Kunstakademie Düsseldorf absolviert. Auf der Internetseite der Akademie heißt es: Ziel des künstlerischen Studiums ist die Heranbildung einer eigenen künstlerischen Position, Persönlichkeit und Haltung. Ich habe keine Ahnung, was eine künstlerische Position ist. Kannst du es mir erklären? Und in welcher Weise hat die Akademie deine künstlerische Persönlichkeit und Haltung beeinflusst und geprägt?

Meine Zeit an der Akademie war für mich schwierig, ich habe mich dort nie richtig heimisch gefühlt. Vielleicht ist das auch zu viel verlangt. Im Grunde bietet die Akademie die Möglichkeit, mit anderen zusammenzukommen, die sich künstlerisch ausdrücken wollen. Du wirst mit vielen Möglichkeiten konfrontiert, die zudem auch noch stark bewertet werden. In diesem Umfeld muss man sich behaupten oder auch nicht. Erst später wurde mir klar, dass vieles von dem, was mich eigentlich bewegt und was ich gut finde, von der Akademie bzw. den zu meiner Zeit lehrenden Personen nicht geteilt wurde. Nicht schlimm, auch durch Reibung kann man sich entwickeln. Ich liebe es, etwas zu „erzählen“, und gerade das „Erzählerische“ war damals ein No-Go. Welches meine „künstlerische Position“ ist, kann ich nicht sagen. Solche Begriffe stören mich beim Handeln im Atelier. Man muss sich dumm stellen.

 

Du malst also einfach, was du willst, ohne dich darum zu kümmern, was sich gerade gut verkauft? Von einigen Schriftsteller*innen weiß ich, dass sie sich am Markt orientieren, denn die Verlage verlangen nach dem, womit sich Geld verdienen lässt, was nur natürlich ist, schließlich ist ein Verlag ein Unternehmen, was wirtschaftlich handeln muss.

Gibt es in der bildenden Kunst diese Strömungen auch, oder ist der Markt breiter gefächert?

Wenn jemand Geld für etwas zahlt, was du dir ausgedacht hast, ist das schon ein einmaliges Gefühl. Sehr sehr cool. Interessant ist dabei aber, dass ich erst dann etwas verkaufen konnte, als die Sache selbst ausgereift war. Man spürt, wenn etwas unfertig ist. Ich kann mir vorstellen, dass man zum Beispiel beim Schreiben einen Auftrag erhält und ihn ausführt. Manche Schriftsteller:innen können vielleicht auch nur so arbeiten, sie brauchen ein Thema, das sie fesselt. Ob es dann auch auf sprachlicher/formaler Ebene höchsten Ansprüchen genügt, ist nicht so wichtig. Warum auch. Ich lese gerade hierzu von Moritz Baßler „Populärer Realismus“. Eine sehr schöne Analyse.

 

Als Schriftstellerin habe ich Ideen im Kopf, die ich nicht unter meinem Namen veröffentlichen würde. Tatsächlich haben viele von uns Pseudonyme, unter denen sie Bücher veröffentlichen, die in einem anderen Genre angesiedelt sind. Menschen kaufen Bücher nach einer bestimmten Erwartungshaltung. Autor XY wird gekauft, weil er immer gute Krimis schreibt, Autorin XZ wird gekauft, weil ihre historischen Romane immer lesenswert sind. Genrewechsel sind daher oft verbunden mit einem Pseudonym, weil Schriftsteller eine Marke sind, mit der bestimmte Inhalte verbunden werden. Wie ist das bei dir? Ich sehe oft bildende Künstler, die in Phasen arbeiten. Plötzlich kommt da etwas ganz anderes als das bisher bekannte. Machst du dir Gedanken, was du malst und in welcher Art, oder geht du einfach mit deinen Impulsen mit, ohne dir zu überlegen, wie es aufgenommen wird?

Letzten Endes muss das, was ich mache, ja erstmal mir selbst gefallen, und solange ich etwas habe, an dem ich gerade gerne arbeite, bin ich zufrieden. Früher habe ich z.B. im Rahmen meiner Wortarbeiten Buttons getextet/gestaltet zu Themen wie „Entschuldigungen“, „Buttons für Männer“, „Buttons für Reiche“ etc. Das hat viel Spaß gemacht und war auch ziemlich erfolgreich. Heute verkaufe ich diese Buttons immer noch, aber es fallen mir so recht keine neuen ein. Das Thema ist für mich wohl auserzählt. Etwas planmäßig nach einem vermuteten Publikumswillen zu gestalten ist verführerisch, ist mir aber leider noch nie gelungen.  Vielleicht fehlt mir das Handwerk dazu.

 

Ihr findet Klaus Sievers mit seinen Arbeiten unter folgenden Links:

www.klaus-sievers.de

instagram.com/klaus.sievers.art/

 

Klaus Sievers wurde 1962 in Essen geboren, er lebt und arbeitet in Düsseldorf

 

Ausbildung

1981-1989      Kunstakademie Düsseldorf bei Prof. Graubner und Prof. Bobek

1989-1995      Visuelle Kommunikation, Hochschule Düsseldorf

seit 2018         Kuratierung von Ausstellungen im Ministerium für Heimat, Bau, Kommunales

und Gleichstellung NRW, Düsseldorf

(2018 „von dort aus“ / 2019 „einfach so“ / 2020 „mit leichtem Gepäck“)

2011/12          Lehrauftrag Zeichnung und Druckgraphik Universität Siegen

seit 2006         Entwicklung und Koordination von Projekten der kulturellen Bildung

im Auftrag des Kulturamtes Düsseldorf

 

Stipendium \ Preise (Auswahl)

2022                FBZ Art Award des Forschungs- und Entwicklungszentrums für psychische Gesundheit (FBZ) der Ruhr-Universität Bochum

2019                Kunstpreis der Galerie Judith Dielämmer, Grevenbroich

 

Einzel- und Gruppenausstellungen (aktuelle Auswahl)

2022                „die Große“, Museum Kunstpalast, Düsseldorf

„im nächsten Moment“, Galerie QQArt, Hilden (E)

2021                „Ins Grüne. Ins Blaue. Ins Schwarze“, Kunstverein Oberhausen

in der Ludwiggalerie Schloß Oberhausen

Galerie Christian Lethert, Köln

2020                „Bonbons“, Galerie Fiftyfifty, Düsseldorf (E)

2019                „Büchsen und Männer“, Galerie Raumsechs, Düsseldorf (E)

2018                „die Große“, Museum Kunstpalast, Düsseldorf

seit 2006         Kubo-Show, Flottmannhallen, Herne